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Expertendämmerung

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Neulich früh stand das Politische Feuilleton im Deutschlandradio Kultur unter der Überschrift „Warum die Gesellschaft heute ohne Vorbilder auszukommen scheint“. Der Beitrag war interessant, wenngleich man dem trauernden Unterton („früher war alles besser“) nicht unbedingt gern folgt und wenngleich ich an der implizit diagnostizierten demokratiegefährdenden Wirkung einer allgemein sinkenden Vorbildaffinität zweifle.

„Vorbild“ und „Experte“ liegen nahe beieinander. Eine Gesellschaft, die sich nicht auf gemeinsame Vorbilder einigt und diese nicht durch gemeinschaftliche Aufmerksamkeit pflegt und erhält, entzieht auch der „Expertenmeinung“ das Vertrauen: Unsere Gesellschaft lasse „keine Überlebensgröße mehr zu“, hieß es im Radio. Ausdrücklich schreibe ich dies beobachtend und bar jeder Wertung, was vielleicht per se bereits wieder symptomatisch ist, ist doch das mosaikhafte Nebeneinanderstellen unterschiedlicher fragmenthafter Sichtweisen Basis und Kennzeichen der Entwicklung.

Jetzt kommt, aufgepasst, der Dreh zum RKB-Blog. Während der RKB-Konferenz sprach Gudrun Gersmann von der „Expertendämmerung“ im Zusammenhang mit dem (notwendigen) Wandel des Rezensionssystems. Christian Gries schrieb im Tagungsbericht: „Vor der These von Blogs und Tweets als aufmerksamkeitsgenerierenden Instrumenten konstatierte sie einen Expertenschwund und stellte die Frage, ob der traditionelle “Experte” überhaupt noch eine Figur der Zukunft sei“. Fragmentisierung als Tendenz der Zeit und Schlüsselwort der Zukunft? Vielleicht ja, ob man sie nun als Ausdruck wachsender Demokratisierung oder steigenden Selbstbewusstseins des Einzelnen deuten möchte, denn immerhin bleibt die Deutungs- bzw. Wertungshoheit in der Mosaiklandschaft ganz bewusst dem Einzelnen überlassen, oder zumindest den spezifischen Communities, in die der Einzelne sich notwendigerweise einbindet, weil er allein der Daten- und Meinungsmasse hilflos gegenüberstehen würde (s.u. zum Filter). Die Fragmentisierung bringt  „die Crowd“ als Phänomen – oder Phantom – untrennbar mit.

Das wachsende Selbstbewusstsein, mit dem das Individuum diesen Prozess bereichert (durch das Zutun seines eigenen Meinungsmosaiksteins) und abschließt (durch die Wertung vorhandener Fragmente) lässt gar keine Alternative zur sinkenden Wertigkeit von Vorbildern und Experten. Der (wissenschaftliche) Experte wird häufig aufgrund seiner Laufbahn oder seines Titels als solcher betrachtet – oder, um erneut die Brücke zum Rezensionswesen zu schlagen: Ihm wird die Rundumbeurteilung eines Buchs zugetraut, dessen Einzelaspekte möglicherweise besser und objektiver von mehreren oder vielen (fragmenthaft) Kommentierenden eingeschätzt werden könnten, wobei deren jeweilige Position und die Quelle ihrer Kompetenz immer weniger wichtiger wird, je kleinteiliger sich der Prozess darstellt. Vielleicht.

Dazu erschien neulich ein höchst lesenswertes Interview in der SZ (Feuilleton, 16. Juli 2013) mit David Weinberger, dessen Überschrift und Untertitel schon viel verraten: „Wer mit Ausbildung argumentiert, macht sich lächerlich. (…) Alternativen zum klassischen Expertentum“. Der Wandel funktioniert eben nur dann, wenn man unbegrenztem Platz und unbegrenzter Meinungsäußerung – im Sinne eines unendlich großen Mosaiks – mit einer Filter- und „Empfehlungskultur“ begegnet, wie Weinberger sagt. Dem Interviewer, der seine gerade im deutschsprachigen Raum so weit verbreiteten Sorge nur schlecht überspielt, diese Umbrüche bedeuteten den Untergang des Abendlands, hält er schlagfertig entgegen: „Sie müssen ein ziemlich einsames Leben da im Internet führen“.

Das alles wirkt, als sei die Entwicklung als ein Demokratiegewinn zu verstehen. Orientierung am Inhalt statt an Meriten und Machtinsignien.

Gibt es gute Gründe, um Sieglinde Geisel, der Autorin des eingangs benannten Politischen Feuilletons, in ihrer Meinung zu folgen, dass der Verlust von Vorbildern tendenziell demokratiegefährdend sei? Stifte(te)n Vorbilder, die wir derzeit reihenweise stürzen und verblassen sehen, tatsächlich Gemeinschaft durch ihre „Gravitationskraft“ – die in der Netzkultur kein Äquivalent findet? Wenn ja: Ist der Verlust von Experten analog auch wissenschaftsgefährdend? Verliert eine wissenschaftliche Diskussion an Wert, wenn sie – positiv formuliert – „auf Augenhöhe“ stattfindet? Das Netz stellt die Augenhöhe per Anonymität her. Erstaunlich, wie hoch der Reputationsunterschied beider Begriffe ist.


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